Artikel aus RheinZeiger - Ausgabe 37

Über Agilität, New Work und das Tagesgeschäft

Arbeiten im System und am System
Arbeiten mit Effizienz und Agilität / © Franziska Gütle / WE THINK DIFFERENT

 

Warum wir mit Dynamik die richtigen Dinge richtig tun müssen …

 

Über Agilität, New Work und das Tagesgeschäft

 

Bei Diskussionen über moderne oder zeitgemäße Methoden der Arbeit und der Arbeitsorganisation stelle ich mir gerne ein Streitgespräch zwischen Frederick Winslow Taylor und Kenneth Wilber vor - regelmäßig unterbrochen auf der einen Seite von Erika aus der Schadensregulierung M-Z, die darauf hinweist, dass Dinge immer schon so gemacht wurden, und auf der anderen Seite von Chris, dem 20-jährigen Top-Management-Berater, der auf YouTube berichtet, wie er seinen Lamborghini ausschließlich durch das richtige #Mindset finanziert hat.

 

Mitten in der innerlichen Auseinandersetzung mit dieser Diskussion und den aufeinanderprallenden Philosophien und Menschenbildern, die jeweils für sich eine dogmatische Richtigkeit beanspruchen, bin ich auf der Suche nach Ablenkung auf eine Visualisierung von Franziska Gütle gestoßen, die mich innehalten ließ.

 

Und zwar solcherart, dass ich hier auf den ersten Blick die polarisierende Differenzierung „Effizienz vs. Agilität“ wahrgenommen und meinen digitalen Kopf bereits geduckt habe, um einem erwarteten Shitstorm von Agile Evangelists auszuweichen. Dieser blieb aus und ich beschäftigte mich - aus der Deckung gekommen - noch ein wenig länger mit der Darstellung.

 

Im Grunde ist die Aussage sehr salomonisch und Frau Gütle stellt sich mit nach oben geöffneten Handflächen zwischen unsere beiden Diskussionskontrahenten. Es haben beide Recht! Das Arbeiten am System erfordert standardisierte und effiziente Prozesse, während die Evolution eines Systems ein dynamisches, kooperatives, kreatives – ja, ich sage es – agiles Arbeiten erfordert.

 

Es bedarf keiner Ganz-oder-gar-nicht-Mentalität. Ich fragte die Mutter dieser Visualisierung nach ihrer Interpretation der gegenübergestellten Welten. Das dargestellte Modell basiert auf der Erkenntnis, dass es Aufgaben gibt, „die zwar möglicherweise schwierig sind, die Spezialisten aber dank ihres Fachwissens auf bekannten, standardisierten Lösungswegen bewältigen können. Für das effiziente Lösen solcher Aufgaben empfehlen sich nach wie vor bekannte Arbeits- und Führungsansätze“. Auf der anderen Seite haben wir „Bereiche, die sich mit komplexen Tätigkeiten konfrontiert sehen. [Für diese] ist es aus meiner Sicht unabdingbar, einen ersten Schritt in Richtung „New Work“ zu gehen und in agile Organisationskonzepte zu investieren“.

 

Ich denke, dass dies eine unbezahlbar wichtige Erkenntnis ist und auf vielen Ebenen des unternehmerischen Handelns ihren „analogen Zwilling“ findet. Würden wir bei uns im Unternehmen unsere Blumen agil gießen, würde ich mir Sorgen um deren Überleben machen. Auch das Finanzamt Köln II würde sich wundern, wenn ich mit der Begründung „es im aktuellen Sprint nicht untergebracht zu haben“, den Jahresabschluss nicht fristgerecht übersenden würde.

 

Auf der anderen Seite kann ich Erika nicht damit beauftragen, in der kommenden Woche „mal kreativ zu sein“ und bis spätestens zum kommenden Mittwoch mit einem neuen Ansatz für die Regulierung von Unfallschäden um die Ecke zu kommen. Wir sollten für uns und unser Umfeld also klar machen, an welchen Stellen wir zwar möglicherweise kompliziert aber mit klaren Anforderungen, Prozessen und Deadlines arbeiten müssen und an welchen Stellen wir in einem komplexen, unsicheren, mehrdeutigen und volatilen Umfeld (VUCA) arbeiten.

 

Es mag bei Ihnen anders sein. Aber in unseren Kundenprojekten ist das eiserne Dreieck in Beton gegossen. Unsere Kunden beauftragen heute eine Leistung, für die der Scope, die Deadline und die eingesetzten Mittel von vorneherein festgelegt sind. Hier ist wenig Raum für Agilität. Es darf gerne angeführt werden, dass wir uns darüber bewusst sein sollten, dass wir mit der Akzeptanz dieser Vorgehensweise in Kauf nehmen, dass wir einem Kunden heute ein Produkt (oder ein Outcome) verkaufen, welches wir mit anderen Methoden zum Lieferzeitpunkt ggf. besser hätten zur Verfügung stellen könnten. Ja! Das stimmt. Aber solange unser Kunde nicht bereit ist, die bessere Katze, die aber leider noch im Sack steckt, zu kaufen, fehlen uns die Alternativen.

 

Das Dreieck der Qualität bei Kundenaufträgen

Auf der anderen Seite müssen wir verstehen, dass die Produkte, Leistungen und Lösungen, die wir auf diese Art und Weise verkaufen, in X-Zeitintervallen (dies mag von Branche zu Branche und von Produkt zu Produkt variieren) veraltet sein werden. Welche Produkte dann State of the Art sein werden, können wir jetzt noch nicht wissen. Hier fängt die Ungewissheit an.

 

Ja, wir müssen manchmal altmodisch arbeiten und ja, wir müssen agil arbeiten, aber wir müssen im Blick behalten, dass wir für beides die richtigen Methoden einsetzen. Und – und hier kommt ein weiterer wichtiger Aspekt, der ebenfalls schön in die obige Visualisierung eingearbeitet ist – wir müssen im Blick behalten, mit wem wir diese unterschiedlichen Methoden umsetzen können. „Finde Freiwillige!“ sagt die Visualisierung. Vereinfachend, aber umso treffender. Erika will kein Scrum Master sein! Muss sie vielleicht auch gar nicht. Lassen wir sie einfach Schäden effizient regulieren!

 

Aber jede Kollegin und jeder Kollege, die oder der selber mitbestimmen möchte, wie ihr oder sein Arbeitsplatz der Zukunft aussieht, die ihren oder seinen Beitrag zu einem erfolgreichen, sinnstiftenden Unternehmensziel beitragen möchte, die oder der Fähigkeiten hierzu hat und den Willen, Dinge im Sinne einer nachhaltigen Gestaltung des Unternehmens und seines Umfeld zu formen, der oder dem werden wir mit anderen Führungsmechanismen begegnen müssen als mit Zielvorgaben auf Jahresebene und dedizierten Zeit- und Ressourcenbudgets für Maßnahmen, die wir bereits heute verfolgen.

 

Hier reden wir über Mindset. Und zwar nicht über Erfolgs-, Dollar- oder Rolex-Mindsets, sondern über ein Verständnis davon, wie Zusammenarbeit, Kommunikation, Transparenz, Verantwortung und Freiheit in einem Arbeitsumfeld aussehen können.

 

Wir reden hier nicht davon, dass jeder machen kann was er will - auch Chris wird sich in unserer Organisation anstrengenden müssen, wenn er seine Ziele erreichen will, um am Feierabend entspannt mit dem Lambo in den Sonnenuntergang fahren zu können - oder davon, dass die Grundvoraussetzung eines gewinnbringenden oder zumindest kostendeckenden Arbeitens zum Wohle einer maximal entspannten Belegschaft außer Kraft gesetzt werden soll. Im Gegenteil wird davon ausgegangen, dass Existenzsicherung als notwendige Bedingung im mathematischen Sinne modellimplizit ist und die Rentabilität, sogar Rentabilitätssteigerung, eine emergente Folge aus eigenverantwortlicher, selbstentschiedener und sinnstiftender Arbeit ist:

 

Was kann man sich denn als Geschäftsführer, Vorstand, Unternehmer – aber auch als Mitarbeitender - besseres wünschen? Es bedarf eben NUR des richtigen Aufgabensets, des richtigen Struktursets und auch des richtigen Mindsets.

 

Adreas Abbing, Consulimus AG

 

www.consulimus.de