Gestaltung zukunftsfähiger Organisationen
Viele Manager suchen nach Ansatzpunkten, das Unternehmen für die Zukunft aufzustellen. In den letzten Jahren hat sich Vieles geändert, die bisherigen Management-Ansätze stoßen an ihre Grenzen. Wir konnten viel hören und lesen über Lernende Organisationen und über neue Führungsstrukturen. Was sind heute die Alternativen, welche Ansätze gibt es. Lesen Sie hier die "Geschichte", wie die Organisation mit acht Leitlinien in eine sichere Zukunft geführt werden kann.
Was ist die Situation?
Es ist Donnerstag, ein etwas trüber Herbsttag im Oktober 2023. Ich sitze im Kreis einiger Unternehmensberater und Manager gestandener Unternehmen. In einem Unternehmenszweig eines der Unternehmen dreht sich derzeit vieles um Fragen einer Neuorganisation. Hier werden hochinnovative Produkte für die unterschiedlichsten Anwendungen produziert – von der Automobilbranche bis zum Gesundheitswesen. Der Unternehmenszweig ist führend in der Welt. Dennoch, die Digitalisierung steht noch am Anfang, und neue Ideen für die vorhandenen Produkte sind ebenso gesucht wie neue Produkte oder Geschäftszweige.
Wir sehen uns die Abläufe im Unternehmen an, machen einen Rundgang durch sämtliche Bereiche und Produktionsanlagen. Viele Produkte werden aus Erdöl-basierten
Kunststoffen gefertigt. Biokunststoffe werden bisher nicht in Erwägung gezogen, auch nicht für die Zukunft. Schnell wird klar, dass hier neuzeitliche Strukturen im Bereich der Organisationen
ebenso notwendig sind wie im Bereich der Nachhaltigkeit. In den letzten Jahren hat sich in der Wirtschaft sehr viel geändert, auch die Anforderungen durch die Kunden. Manches wurde ausgelöst
durch die Pandemie, manches durch Generationswechsel, manches durch die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt. Viele Dinge sind zu hinterfragen, eine neue
Wirtschaftsphilosophie ist dringend erforderlich.
Faktor Geschäftsmodell
Bleiben wir hier bei organisatorischen Fragestellungen. Was sind die Alternativen? Hierzu müsste man zunächst eine Bestandsaufnahme machen, um zu erfahren, was bisher wie abläuft, mit welchen Defiziten und mit welchen Produktspezifikationen. Ich habe über viele Jahre Existenzgründungen begleitet, habe Gründerpersonen beraten und gecoacht. Immer wieder wurden dabei vor allem die Geschäftsmodelle diskutiert, und Bestandteil der Geschäftsmodelle ist die Unternehmensorganisation. Ich habe Startups immer wieder nach dem Organigramm gefragt und erhielt zumeist eine grobe Skizze eines mehr oder weniger ausgefeilten Netzwerkes. Soviel war zu erkennen: Hierarchieebenen in der bekannten Form gibt es kaum noch.
Im heutigen Meeting führe ich ein paar Beispiele an. Die meisten Neugründungen entwickeln heutzutage ein Modell ohne Hierarchieebenen. Alles wird auf Networking ausgerichtet. Sicher, es gibt Führungspositionen, aber auch die ordnen sich in das Netzwerk ein. Anweisungen treten zurück für konstruktive, am Bedarf orientierte Kommunikation. In der Runde blickt man mich ziemlich verständnislos an. Wie soll ein Unternehmen funktionieren, wenn es keine Hierarchien gibt?
Disruptionen sind nicht neu
Wir schweifen ein wenig ab zu Themen rund um Disruption und Transformation. Ich führe die in der Tabelle genannten Beispiele an.
Ich lege noch eins drauf und rede von disruptiven Geschäftsmodellen. Wir reden von völlig neuen Methoden den Markt zu erobern. In diesem Markt gibt es unbefriedigte Bedürfnisse, die mit ganz neuen, ja radikalen Vertriebsmethoden befriedigt werden sollen. Wir kennen Modelle wie Freemium, Subscription, das Marktplatz-Modell oder auch das On-Demand-Modell, um nur einige zu nennen.
Sowohl zu den Produkten als auch zu den Geschäftsmodellen ließen sich weitere Beispiele nennen. So gilt heute insbesondere die Bioökonomie als zukunftsorientiert, denn der Klimawandel sollte inzwischen wirklich allen als ernsthaftes Problem klargeworden sein. Betrachtet man den Prozess der Digitalisierung, den Klimawandel, die (oft disruptiven) Innovationen und die Anforderungen der Kunden, dann wird klar, dass Wirtschaft dringend neu zu denken ist. Fest steht, dass sich Unternehmen mit den aktuellen Entwicklungen auseinandersetzen müssen. Ignorieren kann böse enden. Ohne Frage gehört zu diesen Entwicklungen außer Digitalisierung und Klimawandel eben auch der gesellschaftliche Wandel und politische Einflüsse.
Wir kommen zurück auf die Unternehmensorganisation, zurück zu der Frage, warum dies alles überhaupt Thema ist in diesem Meeting. Und wieder sind wir beim Geschäftsmodell. Und eben das Geschäftsmodell hinterfragt insbesondere die Unternehmensorganisation und den Nutzen, den der Kunde durch ein Produkt hat. In der Diskussion kommt mir das Papier von „We think different“ in den Sinn: Leitlinien zur Gestaltung zukunftsfähiger Organisationen. Es wäre auch für diesen Diskussionskreis eine gute Lektüre und Orientierungshilfe. Gut, dass ich Ende September am Online-Event von We think different teilgenommen habe. Deren Modell der acht Leitlinien zur Gestaltung zukunftsfähiger Organisationen möchte ich hier vorstellen.
Unternehmen befinden sich im einem sich wandelnden Markt
1. Kunden haben Bedürfnisse
Damit aber der Kunde tatsächlich einen Nutzen hat, sind die Bedürfnisse den Kunden zu hinterfragen – Stichwort Persona. In meiner Tätigkeit als Gründungsberater
habe ich immer auch den Nutzen hinterfragt. Dazu habe ich auch mit der Maslow-Pyramide gearbeitet. Aber ich habe insbesondere nachgehakt bei der Frage: Wer will das warum haben? Wir, die Gründer
und ich, haben über diese Frage intensiv diskutiert. Immer wieder kamen Gründer zu mir, die von ihrer Idee restlos fasziniert waren. Sie schwärmen geradezu von dem technologischen Highlight, das
sie da gefunden hatten. Fragte ich dann nach, welche potenziellen Kunden sie befragt hatten, kam keine Antwort.
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Deshalb ist die Leitlinie Nr. 1:
Den Mart beobachten, hören und sehen, wer welche Bedürfnisse hat, welche Veränderungen und Trends sich abzeichnen.
2. Herausforderungen
Als Unternehmen sich auf diesen Markt einzustellen, ist durchaus anspruchsvoll. Man möchte schließlich nicht durch disruptive Entwicklungen plötzlich verdrängt werden. Wir leben in Zeiten der Digitalisierung, und dazu gehört auch das Thema Künstliche Intelligenz. Hier dreht sich die Welt in einem hohen Tempo. Deshalb gehört zu jeder Produktentwicklung auch dazu, sich um noch unbekannte Anwendungsmöglichkeiten zu kümmern. Bei der Gründerberatung ging es immer sehr intensiv um die Frage, was das Produkt eigentlich kann und wo in der Welt sich weitere Anwendungsmöglichkeiten finden könnten. Zu mir kam seinerzeit ein Unternehmen aus der Automobilbranche. Sie produzierten Bremsschläuche aus unterschiedlichen Materialien und hatten die Idee, dass diese Schläuche auch in der Medizintechnik Anwendung finden könnten. Nur kurze Zeit später fanden diese Schläuche Anwendung bei den Beatmungsgeräten, die zur Beatmung von Corona-Patienten eingesetzt wurden.
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Deshalb lautet die Leitlinie Nr. 2:
Aktuelle und zukünftige Herausforderungen erkennen und integrieren; mit den Playern möglichst aller Branchen reden.
3. Flexibilität
Nun kann man sich vorstellen, dass es einen Unterschied macht, ob man Bremsschläuche oder Beatmungsschläuche produziert. Hier geht es nicht nur um die Technik und die Maschinen, die für den Produktionsprozessbenötigt werden. Hier werden ganz unterschiedliche Märkte bedient, hier redet man mit ganz unterschiedlichen Menschen. Hier braucht es vielmals ganz unterschiedliches Know how hinsichtlich der Anwendung. Möglicherweise müssen ganz unterschiedliche Produktionsstufen durchlaufen werden, die man vom Grundsatz und von der Materialverarbeitung her aber alle beherrscht. Die Wertschöpfungskette stellt sich je nach Anwendung unter Umständen völlig anders dar. Dementsprechend braucht es andere Materialprüfungen oder ein ganz anderes Qualitätsmanagement. Und wenn die hier angeführten Beispiele betrachten, haben wir es mit ganz unterschiedlichen Märkten zu tun. Hier zeigt sich, wie sich Eigenschaften im Netzwerk ergänzen.
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Und so gilt die Leitlinie Nr. 3:
Die Aufgabenstellung bestimmt die Grundstruktur; Flexibilität in den Strukturen ist Erfolgsfaktor.
4. Kompetenzkombinationen
Es ist keine Frage: Der (Produktions-) Betrieb muss sich je nach Auftrag ständig neuen Anforderungen stellen, die einzelne Elemente im Netzwerk sind in ganz unterschiedlicher Weise gefragt. Das kann soweit gehen, dass Know how aus der einen Abteilung „plötzlich“ in einer ganz anderen Abteilung gefragt ist. Und Know how ist unter Umständen an Personen gebunden. „Abteilung“ wird hier relativ, die Führung in Netzwerkstrukturen kann und muss sich jetzt bewähren. In der Wertschöpfungskette müssen die Kompetenzen in optimaler Weise zusammengeführt werden. Dies bedeutet auch, dass je nach Anfrage diese „Kompetenzkombination“ von der Anfrage über die Angebotsphase und den Produktionsablauf bis hin zu Abrechnung und Gewährleistung aufgestellt werden muss. Hier gibt es viele Schnittstellen, hier braucht es gute (interne) Kommunikation.
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Dazu lautet die Leitlinie Nr. 4:
Zusammenbringen, was zusammen gehört. Menschen müssen zu einer optimalen Einheit, zu einem gut funktionierenden Team zusammengeführt werden.
5. Koordination
Organisationseinheiten müssen optimal funktionieren. Wie bereits festgestellt, ist Flexibilität oberstes Gebot. Grundlage für diese Organisationsgestaltungen sind
die Bedürfnisse und Anforderungen der Kunden. Das gewünschte Produkt muss seinen Zweck erfüllen, es ist termingerecht zu liefern, und nach Möglichkeit soll mit Blick auf Folgeaufträge der Kunde
auch gebunden werden. Auch der Ruf im Markt steht auf dem Spiel. Damit muss sichergestellt werden, dass alle Stufen der Wertschöpfung (vgl. Kompetenzkombination) optimal koordiniert werden. Ein
optimales Zusammenspiel ist wichtiger als die Summe der Einzelleistungen. Dabei darf keine Frage offen bleiben, bei Bedarf müssen (auch externe) allgemeine Dienstleistungen oder spezifische
Expertisen zugezogen werden. Ohne zentrale Instanz ist das alles kaum sicherzustellen.
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Also besagt die Leitlinie Nr. 5:
Eine zentrale Instanz schafft die Basis für das Erbringen einer optimalen Wertschöpfung.
6. Entwicklungspotenziale
Bei dieser flexiblen Aufstellung eines Unternehmens steht (fast automatisch) die Zukunftsorientierung im Raum. Zum einen ist zu prüfen, wie das Produktspektrum des
Unternehmens auf der Basis der gewonnenen Erfahrungen weiter entwickelt werden kann. Zum anderen geht es darum, die Potenziale im Team weiter zu entwickeln. Was das Team betrifft, so reden wir
hier über Talententwicklung und Förderung der Kreativität. Hier wird es auch wichtig, die Vision des Unternehmens zu „leben“. Die Beschäftigten müssen sich mit der Vision identifizieren, sie
sollen quasi vom eigenen Job begeistert sein. So können sie an das Unternehmen gebunden werden, so können sie sich für Führungsaufgaben bewähren. Und kompetente Führung hat wiederum Einfluss auf
die Gestaltung der Unternehmenszukunft. Dies sorgt indirekt auch dafür, dass das Unternehmen seinen Ruf als kreativer und kompetenter Problemlöser festigt.
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Deshalb lautet die Leitlinie Nr. 6:
Potenziale durch Weiterentwicklung von Führung entfalten. Freudvolles und sinnerfülltes Arbeiten lässt Menschen Visionen leben und nach außen tragen.
7. Wissen teilen
Zukunftspotenziale für ein Unternehmen entwickeln erfordert laufende Weiterbildung und ein flexibel einsetzbares Team. Mit lernenden Organisationen haben wir uns
viel beschäftigt. Lernen findet nicht im stillen Kämmerlein statt. Lernen bedeutet, den Blick über den Tellerrand schweifen zu lassen, sowohl organisations- als auch branchenübergreifend. Dabei
steht Wissen teilen im Mittelpunkt. Das vertrauliche Zurückhalten von Know how könnte den Produktionsprozess an anderer Stelle negativ beeinflussen. Es darf nicht Grundlage etwa für Beförderungen
oder Gehaltsanpassungen sein. Wissen teilen führt auch zu neuen Ideen und damit zu neuen Konzepten oder neuen Produkten. Es verteilt sich so auf viele Köpfe, und das sichert den häufig
wissensintensiven Produktionsprozess. Bestandteil dieses Teilen von Wissen ist auch das Vorschlagswesen in Unternehmen. Es geht dabei nicht nur um die Belohnung neuer Ideen, es geht vor allem um
Verbesserungen bei Produkten und Abläufen, denn das macht ein Unternehmen wettbewerbsfähiger.
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Daher gilt die Leitlinie Nr. 7:
Weiterentwicklung bewirken durch gemeinsames Lernen in team-, organisations- und branchenübergreifenden Formaten
8. Wandlungsfähigkeit
Die bisher angesprochenen Leitlinien sind keine Momentaufnahmen. Wir erleben, wie schnell das Morgen schon gestern ist. Die Welt bewegt sich laufend, unterliegt
einem rasanten Wandel. Die VUKA-Theorie drückt dies aus: Merkmale des digitalen Zeitalters sind: volatil, unsicher, komplex und ambivalent. Heute spricht man auch vom BANI-Modell, das ähnlich wie
VUKA die chaotische Welt beschreiben soll. Welches Modell man auch immer betrachten will: die Unternehmen müssen lernen, mit rasanten Veränderungen, unberechenbaren Krisen und immer wieder neuen
Kundenwünschen zurechtzukommen. Für sie ist es daher wichtig, Transparenz und klare Kommunikation zu pflegen, um einen ebenso rasanten internen Wandel zu realisieren. Man muss in der Lage sein,
jederzeit Anpassungen und Nachjustierungen vorzunehmen. Dies erfordert eine wache Instanz, eine Art Empathie für den Markt, ein sehr gutes Innovationsmanagement und eine agile Führung, die alle
Beschäftigten einbezieht. Wir sind wieder ein wenig bei der Vision: WIR sind das Unternehmen.
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Deshalb lautet die Leitlinie Nr. 8:
Keep on Turning: Laufende Anpassung, Reflektion und Nachjustieren sichert die Zukunft des Unternehmens
Leitlinien als Orientierungshilfe
Die hier beschriebenen acht Leitlinien sollen eine Orientierungshilfe sein, für die laufenden Herausforderungen im Unternehmensalltag sensibilisieren. Es ist
wichtig, die gesamte „Klaviatur“ der Unternehmensführung zu beherrschen. Diese acht Leitlinien sind nicht dazu gedacht, laufend wörtlich umgesetzt zu werden. Jeder Alltag, jede Situation ist
speziell und braucht eine maßgeschneiderte Lösung. Auch deshalb ist, so abgedroschen es auch klingen mag, ein lebenslanges Lernen unausweichlich.
Das Papier von WE THINK DIFFERENT zu diesem Thema aus der Summer School 2023 gibt es als Download (siehe recht).