Wie Deutschland trotz Krise das Gründungspotential besser nutzen kann
Gründungsmonitor GEM 2020-2021
Um einen Blick auf den Zustand der Gründungslandschaft in Deutschland zu werfen, wollen wir den aktuellen Länderbericht Deutschland des Global Entrepreneurship Monitors (GEM) zurate ziehen, der vom RKW Kompetenzzentrum und der Leibniz Universität Hannover herausgegeben wird. Professor Sternberg, Leiter des GEM- Länderteams Deutschland, in der Wirtschaftswoche vom 11. August 2021 gefragt zum aktuellen Gründungsklima in Deutschland, antwortete sehr treffend „Wir lassen viel zu viel Potenzial liegen“. Das wollen wir im Folgenden vertiefen, nach Gründen suchen und Wege in eine gründungsaktivere Zukunft aufzeigen.
Starten wir mit dem Gründungspotential in Deutschland. Es zeigt sich, dass auch im Corona-Jahr 2020 die Zahl der Gründungsinteressierten (im Vergleich zu den Vorjahren) nicht eingebrochen ist und mit 10,7 Prozent sogar zugenommen hat. Die Anzahl der Frauen und der Jüngeren unter den Gründungsinteressierten ist in den letzten Jahren gestiegen – aber dazu später mehr. Soweit so gut. Aber, wie sieht es mit dem nächsten Schritt, der Umsetzung aus? Da liefern die Zahlen eher ernüchternde Ergebnisse, und zwar sind die Gründungsaktivitäten von 7,6 Prozent vor der Krise auf 4,8 Prozent gesunken, das stellt in etwa die Gründungsquote von 2018 dar und ist ein Rückschritt für das Gründungsland Deutschland.
In der Entrepreneurship-Forschung nennen wir das den „intention-action-gap“, die Lücke zwischen der Interessensbekundung und der anschließenden Aktion. Zwar ist die Intention der beste Prädiktor dafür, aktiv zu werden, aber zwischen diesen beiden Stufen liegen Welten bzw. Einflüsse und Rahmenbedingungen, die den Übergang erleichtern oder wie in unserem Fall erschweren oder gar verhindern können.
Sie waren an diesem Beitrag beteiligt:
Prof. Dr. Sternberg führt seit Jahren die Erhebungen für den GEM durch.
Prof. Dr. Closta und Dr. Gorynia-Pfeffer wirkten mit und schrieben diesen Bericht exklusiv für den RheinZeiger.
Woran liegt das in Deutschland? Ein Blick auf die letzten Monate der Coronakrise zeigt, dass wir alle digitaler werden mussten, in unseren beruflichen Meetings, im Einkaufsverhalten und auch in der Gründungslandschaft. Viele Gründerinnen und Gründer betonen, dass sie ihre Geschäftsmodelle der Krise anpassen mussten und dafür eine stärkere digitale Infrastruktur in Deutschland notwendig sei. Auch digitale Skills für die Gründung und Weiterentwicklung eines Unternehmens hätten eine größere Bedeutung bekommen. Und damit sind Grundfähigkeiten zur Programmierung oder zur Entwicklung digitaler Tools gemeint. Dadurch hat sich auch das Kompetenzprofil für zukünftige Gründerinnen und Gründer verändert. Aber, woher bekommt man diese Kompetenzen, wenn man nicht gerade Informatik studiert hat?
Dazu offenbart der Global Entrepreneurship Monitor eher ernüchternde Ergebnisse. Die Entrepreneurship Education, also die Gründungsausbildung an Schulen und Hochschulen, wird noch immer als verbesserungswürdig beschrieben, obwohl 1998 die erste Entrepreneurship-Professur in Deutschland eingerichtet wurde und mittlerweile auf 153 Professuren (Stand: Juni 2021) angestiegen ist. Doch nur knapp die Hälfte der im Rahmen der GEM-Studie befragten Expertinnen und Experten bescheinigen den Hochschulen und Universitäten, dass sie angemessen auf eine Gründung vorbereiten. An den Schulen sieht es noch düsterer aus, nur ein Drittel der Befragten bewertet die Vermittlung von Gründungskompetenzen als positiv. 90 Prozent finden hingegen, dass in den Schulen dem Thema Wirtschaft und Unternehmertum zu wenig Raum gegeben wird. Damit bleibt das zukunftsweisende Feld Entrepreneurship Education in Deutschland weiterhin eine Baustelle.
Doch es gibt auch positive Entwicklungen in der Gründungslandschaft Deutschland, und zwar haben sich die unternehmerischen Geschlechterquoten angenähert. Die Gründungsaktivitäten der Frauen (4,4 Prozent) liegen im Jahr der Coronakrise so nah an den Gründungsquoten der Männer (5,1 Prozent) wie seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 nicht mehr. Damit belegt Deutschland im internationalen Vergleich unter den einkommensstarken GEM-Ländern Platz drei. Heißt das, dass Frauen resilienter sind und Krisen flexibler meistern als Männer? Wenn ja, dann sollten wir Gründerinnen nach ihren Kompetenzen und Strategien befragen und diese Ergebnisse in die Schulen und Hochschulen tragen, damit unsere Gründerinnen und Gründer von morgen besser gewappnet sind für zukünftige Krisen.
Aber, es fallen noch weitere positive Entwicklungen auf: die Gründenden werden immer jünger und diverser! In den letzten Jahren haben sich die Gründungsaktivitäten in Deutschland immer mehr in die jüngeren Altersgruppen verschoben (18–24-Jährige und 25–34-Jährige). Die Gründungsquoten der 18–24-Jährigen sind dreimal so hoch wie in der Gruppe der 55–64- Jährigen. Auch Menschen mit Einwanderungsgeschichte gründen in Deutschland häufiger (5,6 Prozent) als Einheimische (4,7 Prozent) und tuen dies auch mit größeren Wachstumsambitionen und innovativen Geschäftsideen.
Wie sieht unser Blick in die Zukunft der deutschen Gründungslandschaft aus? Die Entwicklung des Gründungsinteresses und auch die Diversität der Gründenden macht Hoffnung, dass die Gründungsquoten mittelfristig auf höhere Werte steigen und dort auch bleiben. Dafür muss jedoch an den Rahmenbedingungen, Stichwort Entrepreneurship Education, gearbeitet werden. Das Schulfach Wirtschaft ist nur der erste Schritt: es sollte mehr in die unternehmerische Bildung investiert werden, indem beispielsweise Lehrkräfte dazu aus- bzw. weitergebildet werden. Auch das Programmieren als Grundkompetenz, um ein eigenes Unternehmen zu gründen, wird im digitalen Zeitalter immer wichtiger und könnte den Kindern bereits in den Grundschulen spielerisch vermittelt und später in einem eigenen Schulfach Informatik weiter ausgebaut werden. Die Neugierde am Unternehmerturm sollte frühestmöglich geweckt werden.
Bei den „krisenfesten“ Gründerinnen, den innovativen Gründenden mit Einwanderungsgeschichte und den jüngeren Gründungsinteressierten liegt viel Potential, das durch gezielte Förderung, öffentliche Ermutigung und Unterstützung besser genutzt werden sollte. Dies kann beispielsweise durch die Einbindung von Vorbildern beider Geschlechter in der Gründungsausbildung erfolgen sowie durch Mentorinnen, die insbesondere jungen Frauen schon in Schulen und Hochschulen Mut zum eigenen Start-up machen. Es braucht auch einen besseren Zugang zu Wagniskapital speziell für Gründerinnen und mehr weibliche Investorinnen, wie es dieses Jahr z.B. das Business Angels Netzwerk Deutschland e.V. (BAND) mit dem Women Business Angels Year 2020/21 ausgerufen hat. Darüber hinaus würde uns in Deutschland eine offenere Einstellung zu Gründungen und mehr Anerkennung für das Unternehmertum guttun. All diese Schritte führen zu einer nachhaltigen Vernetzung und Unterstützung der deutschen Gründungslandschaft und damit auch zu einer stabilen Erhöhung unserer Gründungsaktivitäten! Los geht’s!
Seit 21 Jahren untersucht der Global Entrepreneurship Monitor (GEM) das weltweite Gründungsgeschehen. Bis zu 70 Länder erheben jährlich Daten zu nationalen Gründungsaktivitäten und den jeweiligen Rahmenbedingungen, was den GEM zum weltweit größten Projekt der ländervergleichenden Gründungsforschung macht.
Der neue GEM-Länderbericht, der in Kooperation zwischen dem Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie der Leibniz Universität Hannover und dem RKW Kompetenzzentrum entstanden ist, analysiert sowohl Gründungsaktivitäten und -einstellungen als auch gründungsbezogene Rahmenbedingungen in Deutschland im internationalen Vergleich.
Die Ergebnisse des neuen Länderberichts basieren auf weltweit 135.942 befragten Bürgerinnen und Bürgern (davon 3.001 in Deutschland) in 43 Staaten sowie 1821
Gründungsexpertinnen und -experten (72 in Deutschland) in 44 Staaten.
Den Global Entrepreneurship Monitor 2020/2021 gibt es als Printversion oder als pdf (zum Download) beim RKW Kompetenzzentrum
(www.rkw-kompetenzzentrum.de/publikationen) ...
... oder direkt hier zum Download.