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Biotechnologie als Geschäftsmodell

Oder: Warum ein Biotechnologie-Unternehmen kein Pharma-Unternehmen ist.

 

Grafik zur Wertschöpfungskette im Bereich Therapieentwicklung
Wertschöpfungskette im Bereich Therapieentwicklung

Warum ein Biotechnologie-Unternehmen kein Pharma-Unternehmen ist

 

Biotechnologie als

   

Geschäftsmodell

 

Im Zuge des sagenhaften Erfolges des BioNTech Impfstoffs gegen SARS-CoV-2-Infektionen ist die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit für die Biotechnologiebranche stark gewachsen. Im Austausch mit Medienvertretern wurde jedoch schnell deutlich: nicht immer ist klar, was ein Biotechnologie-Unternehmen eigentlich auszeichnet. Denn schnell werden die Begriffe Biotech und Pharma synonym gebraucht. BioNTech schreibt auf seiner Webseite „Als deutsches Unternehmen mit Wurzeln in Mainz wollen wir das weltweit führende Biotechnologieunternehmen für individualisierte Krebsmedizin werden“. In der Presse wird das Unternehmen aber meist als Pharmaunternehmen gepriesen. Auch BioNTechs Hauptinvestor, Thomas Strüngmann, erklärte in einem Handelsblatt-Interview noch vor der Pandemie: „BioNTech ist das Unternehmen, das unserer Vision vom innovativen Pharmaunternehmen am nächsten kommt.“

 

Was ist der Unterschied zwischen Pharma und Biotech?

 

Als eines der ersten erfolgreichen Biotechnologieunternehmen der Welt gilt Genentech, das 1976 in San Francisco gegründet wurde. Die Forscher Herbert Boyer und Stanley Cohen hatten mit Paul Berg 1973 die Gentechnik erfunden. An der Gentechnik, einer Erweiterung der Werkzeuge der Biotechnologie, hatten etablierte Pharmaunternehmen zunächst kein Interesse. Nach einigen vergeblichen Versuchen, sie für die von ihm miterfundene Technik zu begeistern, nahm Herbert Boyer die Sache selbst in die Hand und gründete zusammen mit dem Investor Robert A. Swanson Genentech, und die Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf. Schon 1982 brachte das Unternehmen das erste gentechnisch hergestellte Humaninsulin zur Zulassung. Acht Jahre danach interessierte sich dann endlich ein Pharmaunternehmen und investierte in das vielversprechende Biotech-Unternehmen; Im Jahr 2009 hat Roche Genentech mit Hauptsitz in „South San Francisco – the Birthplace of Biotechnology“ dann ganz übernommen. Genentech hat heute mehr als 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

 

Die legendäre Gründung von Genentech ist beispielhaft für das Geschäftsmodell eines Biotechnologieunternehmens. Vielversprechende wissenschaftliche Ergebnisse werden durch die Gründung eines Unternehmens in Innovationen umgewandelt, die der Gesellschaft zur Verfügung stehen. Am Beginn dieses Weges steht hochkarätige Wissenschaft, begeisterte und mutige Gründerinnen und Gründer und überzeugte Investoren, die das Kapital bereitstellen, welches vor allem in späteren Entwicklungsphasen in großen Mengen benötigt wird. Meistens, aber nicht immer gehören Biomoleküle wie Antikörper, Peptide oder RNA zu den erforschten Wirkstoffklassen. Auch so genannte kleine Moleküle aus anorganischen chemischen Verbindungen werden mit biotechnischen Methoden erforscht.

 

Das Geschäftsmodell Biotechnologie ist besonders in der Therapie-Entwicklung mit hohen finanziellen Risiken behaftet, da oft erst spät in den fortgeschrittenen klinischen Prüfungen zu erkennen ist, ob ein Wirkstoffkandidat erfolgreich – das heißt wirksam und verträglich – ist. Dies macht es auch besonders herausfordernd ausreichend Kapital für die Entwicklungen einzuwerben. Oft greifen Biotechnologieunternehmen bei klinischen Prüfungen oder der Vermarktung dann auf die Expertise von Partnern zurück. Beispielhaft dafür, wie eine solche Partnerschaft gut gelingt, ist die Kooperation von BioNTech mit dem US-amerikanischen Konzern Pfizer. Die „Lichtgeschwindigkeit“ für die Entwicklung und Zulassung von Comirnaty® wurde auch durch das Knowhow des Pharmariesen beim Durchführen klinischer Prüfungen, der Produktion, Zulassung und Vermarktung erreicht, welches bei BioNTech (noch) nicht in der nötigen Stärke vorhanden war.

 

Ein großes Pharmaunternehmen hat in der Regel alle Entwicklungs- und Geschäftsbereiche integriert von der frühen Forschung und Entwicklung über die klinische Prüfung, Marktzulassung, Produktion, Vertrieb etc. Zudem verfügen Pharmaunternehmen über ausreichend Kapital, um ihre Entwicklungen selbst zu finanzieren und sind eben nicht auf externe Investoren angewiesen. Ganz im Gegenteil: über so genannte Corporate Ventures investieren so gut wie alle Pharmakonzerne heutzutage in Biotechnologieunternehmen. Denn rund 50 Prozent der Wirkstoffpipelines der Pharmaindustrie stammen heute aus Partnerschaften mit oder Zukäufe aus der Biotechnologie. Somit ist die Biotechnologiebranche ein sehr wichtiger Innovationstreiber für die industrielle Gesundheitswirtschaft.

 

Warum ist es wichtig die Biotechnologieindustrie von der Pharmaindustrie abzugrenzen?

 

Viele Faktoren bestimmen, ob ein Biotechnologieunternehmen gegründet wird und erfolgreich werden kann. Sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die vielversprechende Wirkstoffe und Technologien entdecken, bereit zu gründen? Wie werden sie dabei unterstützt? Wie können sie ihr geistiges Eigentum schützen? Welchen Stellenwert hat Unternehmertum in der Gesellschaft? Wie schwer oder leicht ist es, die Finanzierung für die ersten Schritte zu erhalten und bürokratische Hürden zu nehmen? Gibt es geeignete Labore, um zu gründen? Wo soll das Geld für die Produktentwicklung und das Wachstum herkommen? Gibt es Investoren, die begeistert sind und über längere Zeiträume große Mengen Kapital zur Verfügung stellen? Gibt es ein gutes Netzwerk? Und das sind nur einige Punkte. Ein Biotechnologieunternehmen zu gründen, unterscheidet sich fundamental von den Bedarfen der Gründung z. B. eines digitalen Start-ups. Der Kapitalbedarf ist viel höher, ebenso wie das Ausfallsrisiko. Biotechnologieunternehmen brauchen also besondere Rahmenbedingungen, um gedeihen zu können. Pharmaunternehmen wiederum, haben andere Bedarfe und entsprechend andere Forderungen an Rahmenbedingungen.

 

Wird ein erfolgreiches Biotechnologieunternehmen zwangsläufig irgendwann ein Pharmaunternehmen?

 

Die Frage liegt auf der Hand, ob ein Biotechnologieunternehmen ab einer bestimmten Größe nicht zwangsläufig ein Pharmaunternehmen wird. Im Fall von Genentech und jetzt zunehmend auch BioNTech, könnte man diese Frage mit ja beantworten. Wenn mit der Größe auch die Integration verschiedener Geschäftsbereiche einhergeht und die Finanzierung aus eigener Kraft gelingt. Aber gerade US-amerikanische Biotechnologie-Powerhouses wie Genentech oder Biogen nennen sich immer noch stolz „biotechnology company“. Auch die Schweizer Roche sieht sich als weltweit größtes Biotechnologieunternehmen. Dabei wird der Fokus dann tatsächlich auf die Technologie gelegt bzw. auf die Biomoleküle, an denen geforscht wird. Das Geschäftsmodell tritt in den Hintergrund und die biotechnologischen Produkte sind weiter namensbestimmend.

 

Für BIO Deutschland als Vertreter der deutschen Biotechnologieindustrie ist es wichtig, dass das besondere Geschäftsmodell unserer Mitglieder Beachtung findet und in der öffentlichen Wahrnehmung von Pharmaunternehmen unterschieden wird. Denn nur so können wir verdeutlichen, wie die Rahmenbedingungen für weitere Erfolge der Branche gesetzt werden müssen.

 

 

Dr. Claudia Englbrecht, BIO Deutschland e. V. 

 

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